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Streiterinnen für das "Leuchtfeuer" Europa

Streiterinnen für das "Leuchtfeuer" Europa

Geschätze Lesezeit: 5 Minuten
Anke Schwarze
02.05.2025

Widerstandskämpferin, Auschwitz-Überlebende, Antifaschistin: Ihre Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs machten drei Frauen aus Deutschland und Frankreich zu energischen Streiterinnen für eine europäische Gemeinschaft.

Zu den Vorkämpferinnen der Europäischen Union gehören Louise Weiss, Simone Veil und Ursula Hirschmann. Als Jüdinnen und Widerstandskämpferinnen schwebten sie während des Zweiten Weltkriegs in Lebensgefahr. Unter dem Eindruck des NS-Terrors und des Krieges engagierten sie sich nach dem Krieg für ein geeintes Europa. Eine fest verbundene europäische Gemeinschaft galt ihnen als bester Garant für Frieden und Demokratie. Ihre Erfahrungen, ihr Mut und ihre Überzeugungen können uns heute nicht nur als Leitlinie dienen – sie müssen es. Denn Europas Bedeutung für Frieden ist aktuell mehr denn je gefragt – und dabei stärker als je zuvor gefährdet.

Drei Leben für Europa

1. Louise Weiss (1893–1983)

Sie wollte Lehrerin werden, hatte bereits ausgezeichnete Diplome der Universitäten von Paris und Oxford in der Tasche – und dann kam der Erste Weltkrieg. Statt zu unterrichten pflegte Louise Weiss verwundete Soldaten in einem Feldlazarett und errichtete ein kleines Militärkrankenhaus in der Bretagne. Noch während des Krieges, im Januar 1918, gründete die junge Französin mit der Verlegerin Hyacinthe Philouze die Wochenzeitschift „L'Europe Nouvelle“. Fortan stritt Louise Weiss mit der Feder gegen den Krieg. Sie war eine überzeugte Pazifistin – bis die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland die Macht erschlichen. Nun „war sie zunehmend für den Einsatz von Gewalt, wenn es darum ging, den Frieden zu sichern“ (aus: „Louise Weiss“, Kurzbiografie der Europäischen Kommission). Sie drängte den französischen Außenminister dazu, einen Hilfsfond für verfolgte Juden einzurichten; sie organisierte Visa für jüdische Flüchtlingskinder aus Deutschland und Österreich. Als die Deutschen Frankreich besetzten, riskierte Weiss ihr Leben in der Résistance. Nach dem Sieg der Allierten setzte sie erneut ihr Schreibtalent für den Frieden ein. In Filmen und Reportagen beschrieb sie die Rolle, die Europa „bei der weltweiten Verfechtung demokratischer Werte spielen könnte“ (siehe oben). 1979 wurde sie in Europäische Parlament gewählt und hielt als Alterspräsidentin die Eröffnungsansprache. Sie blieb Abgeordnete, bis im Alter von 90 Jahren starb.

Europa wird seine Strahlkraft nur dann zurückgewinnen, wenn es die Leuchtfeuer des Gewissens, des Lebens und des Rechts wieder entfacht“ (Louise Weiss).

2. Ursula Hirschmann (1913–1991)

Die in Berlin geborene Jüdin engagierte sich schon als Studentin politisch – zunächst in der Jugendorganisation der SPD, dann in kommunistischen Gruppen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte Ursula Hirschmann nach Paris. Dort heiratete sie den Philosophen und Sozialisten Eugenio Colorni und folgte ihm in sein Heimatland Italien. Das Paar schloss sich der antifaschistischen Untergrundbewegung an. Als Colorni verhaftet wurde, folgte Hirschmann ihm erneut – dieses Mal auf die Insel Ventotene im Tyrrhenischen Meer, seit der Antike ein Ort der Verbannten. Zu diesen gehörten weitere Antifaschisten wie Altiero Spinelli und Ernesto Rossi. Die beiden Männer verfassten gemeinsam mit Colorni das „Manifest von Ventotene“: Auf Zigarettenpapier entwarfen sie ihr Ideal eines freien und geeinten Europas. Hirschmann schmuggelte den Text aufs italienische Festland und half, es dort zu verbreiten. Unter der Rückendeckung des alliierten Vormarsches auf Italien gründete sie mit anderen Widerstandskämpfern in Mailand die „Europäische Föderalistische Bewegung“. Im Schweizer Exil setzte sie ihr Engagement für diese Initiative fort – zusammen mit ihrem zweiten Mann Altiero Spinelli. Eugenio Colorni war 1944 von Faschisten in Rom ermordet worden. Nach dem Krieg baute Hirschmann in Brüssel die noch heute bestehende Vereinigung „Frauen für Europa“ (Femmes pour l’Europe) auf.

Es gilt, endgültig mit den wirtschaftlichen Autarkien, die das Rückgrat der totalitären Regime bilden, aufzuräumen. Es braucht eine ausreichende Anzahl an Organen und Mitteln, um in den einzelnen Bundesstaaten die Beschlüsse, die zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung dienen, durchzuführen. Gleichzeitig soll den Staaten jene Autonomie belassen werden, die eine … Gliederung und die Entwicklung eines politischen Lebens, gemäß den besonderen Eigenschaften der verschiedenen Völker, gestattet“ (aus dem Manifest von Ventotene, das Ursula Hirschmann verbreitete).

3. Simone Veil (1927–2017)

Die Familie der in Nizza geborenen Jüdin Simone Jacob wurde 1944 verhaftet und in Konzentrationslager deportiert. Simone und ihre zwei Schwestern überlebten, ihre Eltern und ihr Bruder jedoch nicht. Nach Kriegsende studierte die junge Frau Rechts- und Politikwissenschaften in Paris. Sie heiratete ihren Kommilitonen Antoine Veil. Nach ihrem Abschluss arbeitete Veil im französischen Justizministerium und beriet mehrere Justizminister. 1974 wurde sie von Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing in sein Kabinett berufen. Als Gesundheitsministerin setzte sie sich erfolgreich für die Legalisierung von Abtreibungen ein. Während ihrer politischen Tätigkeit reifte in ihr die Vision eines Europas, „in dem Gräuel, wie sie sie erlebt hatte, nie wieder geschehen könnten“ („Simone Veil“, Kurzbiografie der Europäischen Kommission). 1979 bot Giscard d’Estaing ihr den obersten Listenplatz seiner Partei in den Wahlen zum Europäischen Parlament an – und Veil nutzte ihre Chance. Sie wurde nicht nur Mitglied des Parlaments, sondern von diesem außerdem zur Präsidentin gewählt. Damit war sie die erste Frau an der Spitze einer Institution der Europäischen Gemeinschaft. 14 Jahre lang war sie im Parlament für die Europäische Einheit aktiv, unter anderem im Sonderausschuss zur Wiedervereinigung Deutschlands. Außerdem setzte sie sich für das Gedenken an die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden ein. 2008 wurde sie in die prestigeträchtige Gelehrtenversammlung „Académie française“ gewählt. Auf ihrem Zeremonienschwert ließ sie unter anderem ihre Häftlingsnummer aus Auschwitz eingravieren. 

Der Reichtum Europas besteht in seiner Vielfalt“ (Simone Veil).

Weitere Informationen:

https://european-union.europa.eu/principles-countries-history/history-eu/eu-pioneers/louise-weiss_de

https://european-union.europa.eu/principles-countries-history/history-eu/eu-pioneers/simone-veil_de

https://european-union.europa.eu/principles-countries-history/history-eu/eu-pioneers/ursula-hirschmann_de